Im Bereich der Großen Seen in Nordamerika kommt es jeden Herbst zum Aufeinandertreffen der ersten Kaltluftschübe aus Kanada mit der weiter südlich lagernden Warmluft, die ihren Ursprung in den südlichen USA hat. Diese Konstellation führt immer wieder zu sich rasch verstärkenden Tiefdruckgebieten, die über den Großen Seen von stürmischem Wind und aufgewühltem Wasser begleitet werden. Für Schiffe, die davon unglücklicherweise weitab von Land heimgesucht werden, kann das tödliche Konsequenzen haben. Diese Böen in Orkanstärke sind als “November-Witches” (engl. witch: Hexe) bekannt geworden.
Das vermutlich berühmteste Opfer einer dieser “November-Witches” war die S.S. “Edmund Fitzgerald” im Oberen See (Lake Superior). Am 10. November 1975 entwickelte sich ein sehr markantes Tiefdruckgebiet über den Großen Seen, welches nach der ursprünglichen Prognose der damals noch nicht sehr genauen Wettermodelle knapp südlich des Oberen Sees vorbeiziehen sollte. Die Fitzgerald nahm einen Kurs entlang des Nordufers des Sees, um das stärkste Windfeld zu meiden. Das Sturmtief zog dann allerdings nördlicher als vorhergesagt und traf Schiff und Besatzung unvorbereitet. Bereits in der ersten Tageshälfte war der Seegang recht ausgeprägt, aber noch nicht extrem. Um etwa 14 Uhr zog das Tiefdruckzentrum fast direkt über das Schiff hinweg und der Wind drehte rasch auf Nordwest. Um 15 Uhr erreichte der Wind Sturmstärke und wehte bis zum frühen Abend mit Böen bis zu 108 km/h. Dadurch wurde der See derart aufgepeitscht, dass bis zu 7 Meter hohe Wellen entstanden.
Während es mehrere Theorien gibt, was letztendlich die Fitzgerald zum Sinken brachte, gelten sogenannte “Freak Waves” (einzelne, ungewöhnlich hohe Wellen) als eine der wahrscheinlichsten Unglücksursachen. Ein anderes Schiff in der Gegend, die “Arthur M. Anderson”, registrierte extreme Wellen von rund 12 m Höhe, die in Richtung der Fitzgerald unterwegs waren. Die letzte Meldung der Fitzgerald wurde um 19:10 Uhr empfangen, doch nur 10 Minuten später war jeglicher Funk- und Radarkontakt abgebrochen. Alle der 29 Besatzungsmitglieder kamen ums Leben.
Während der Sturm, der die Fitzgerald zum Sinken brachte, in die Folklore Eingang gefunden hat (hauptsächlich dank des chartstürmenden Gordon-Lightfoot-Song), trat die zerstörerischste und teuerste November-Witch im Jahr 1913 auf, auch bekannt als der berüchtigte “White Hurricane”. Ausgelöst wurde dieser Sturm durch ein kräftiges Tief, das sich den Großen Seen am 6. und 7. November von Nordwesten her näherte und bis zum Morgen des 9. November in Teilen des Oberen Sees, Michigan- und Huronsees Wind mit Orkanstärke brachte. Das Tief schwächte sich auf seinem Weg nach Osten ab und führte damit zu der verbreiteten Annahme, dass der begleitende überaus heftige Wind nur einer von vielen typischen Novemberstürmen sei und sich alles wieder in Richtung Normalität entwickeln würde. Den unterwegs befindlichen Schiffen war jedoch nicht bekannt, dass sich im Mittleren Atlantik rasch ein weiteres Tief formte, das nicht auf den groben Wetterkarten jener Zeit identifiziert werden konnte. Die zwei Systeme verschmolzen miteinander und verstärkten sich über dem Eriesee und dem südlichen Huronsee rasch. Es handelte sich um eine sogenannte “Bombogenese”, dieser Begriff bezeichnet Tiefs, deren Kerndruck in weniger als 24 Stunden um mindestens 24 Hektopascal fällt. Das Ergebnis war eine unerwartete und dramatische Windverstärkung, auf dem Huronsee herrschten sogar Mittelwinde mit Orkanstärke! Durch die nordwestliche Windrichtung wurde der Wind nicht durch vermehrte Reibung an rauer Landoberfläche abgeschwächt, gigantischer Wellengang im südlichen und westlichen Huronsee war die Folge, siehe NOAA-Grafik der Wellenhöhe (Abbildung 2). 12 Schiffe sanken in den riesigen Wellen, davon allein 8 auf dem Huronsee. Mehr als 250 Menschen starben, 4 der 12 gesunkenen Schiffe konnten niemals lokalisiert werden.
Abb. 3: Während des Sturms von 1913 an die Küste des Michigan-Sees krachende Wellen lassen den Schaulustigen klein erscheinen.
