Sie sehen bedrohlich aus, aber „cold-air funnels“ sind meist harmlos.
Einem Tornado geht normalerweise eine Trichterwolke voraus, die von der Unterkante einer rotierenden Gewitterwolke nach unten wächst. Obwohl nicht alle Trichterwolken einen Tornado produzieren, deuten sie doch eine starke Rotation im unteren Teil des Gewitters an. Ein Tornado ist jederzeit möglich und gefährliche Windgeschwindigkeiten können bereits dann auftreten, wenn der sichtbare Teil des Wirbels den Boden noch nicht einmal ganz erreicht hat.
Es gibt jedoch auch Trichterwolken, die zwar gefährlich aussehen, tatsächlich aber relativ harmlos sind. Diese nennt man „cold-air funnels“, zu deutsch etwa “Kalt-Luft Trichterwolken”. Sie können manchmal im Norden der USA und in Kanada beobachtet werden, genauer gesagt an der Pazifikküste, den Great Plains, im Umfeld der Großen Seen oder auch in der kanadischen Prärie. Doch was unterscheidet diese Trichterwolken von jenen, die üblicherweise mit schweren Gewittern und verheerenden Tornados in Verbindung gebracht werden?
„Cold-air funnels“ sehen Trichterwolken bei schweren Gewittern mit Tornadorisiko sehr ähnlich. Die beiden Phänomenen zugrunde liegenden Wetterlagen unterscheiden sich jedoch deutlich. Wie ihr Name schon verrät, entwickeln sich „cold-air funnels“ in einer oft kalten Luftmasse, besonders in mittleren und hohen Atmosphärenschichten nehmen die Temperaturen dabei deutlich ab. Trichterwolken, die sich im Umfeld von Superzellen bilden, sind meist im sogenannten Warmsektor eines größeren Tiefdruckgebiets zu finden. Die Luft in der Umgebung von tornadischen Superzellen ist dabei oft warm und schwül. „Cold-air funnels“ treten hingegen stets hinter einer Kaltfront, also in durchwegs kühler Luft, auf.
Eine weitere, wichtige Bedingung für “cold-air-funnels” ist die Windscherung. So bezeichnet man die Änderung der Windrichtung und der Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe. Bilden sich bei ausreichender Windscherung Gewitterwolken, so beginnt der Aufwind, also der Teil der Gewitterwolken, in dem die Luft rasch nach oben steigt, sich zu drehen. Ist dann auch noch genügend Feuchtigkeit vorhanden, kann diese Drehbewegung an der Wolkenbasis in Form einer Trichterwolke sichtbar werden.
Während sich aus solch einem Wolkentrichter bei einem Superzellen-Gewitter mitunter rasch ein zerstörerischer Tornado entwickeln kann, sind Tornados durch “cold-air-funnels” ein eher seltenes, wenngleich nicht unmögliches Ereignis. In manchen Fällen wächst der Wolkentrichter bis zum Boden und wird schließlich sogar zu einer schwachen Windhose, die einige Minuten lang bestehen und zumindest kleinere Schäden hervorrufen kann. Die große Mehrheit der “cold-air-funnels” jedoch erreicht die Erdoberfläche nicht.
Diese oft kleinen und in der Regel schlecht vorhersagbaren Wolkentrichter können sich häufig bei Wetterlagen bilden, die nicht weiter kritisch sind, da weder mit gefährlichen Gewittern noch mit Stürmen zu rechnen ist. In vielen Fällen beobachten Menschen “cold-air-funnels” auch unter gewöhnlichen Schauerwolken und sind dann umso mehr überrascht, da man natürlich gleich an einen gefährlichen Tornado denkt.
Der US-Wetterdienst NWS behandelt “cold-air-funnels” übrigens aus warntechnischer Sicht auch ganz anders, als Trichterwolken bei Superzellen-Gewittern. Der Grund: im ersteren Fall ist die Gefahr für Leib und Leben extrem gering, zudem würde sich eine Warnung – sofern man das Potential rechtzeitig erkennen würde – kaum lohnen, da diese Art von Trichterwolken bis zum Zeitpunkt der eigentlichen Warnung oft schon wieder verschwunden sind, selbst wenn sie vielleicht kurzzeitig als schwacher Tornado den Erdboden erreichen sollten.
Zwar sind “cold-air-funnels” prinzipiell das ganze Jahr über möglich, doch am ehesten treten sie im Frühjahr oder im Spätsommer auf, wenn die Kombination aus relativ warmer Luft in Bodennähe und kalter Luft in größeren Höhen am wahrscheinlichsten ist.
Kalt-Luft Trichterwolke über Lexington, Kentucky (aufgenommen am 5. Mai 2007)
Bild: National Weather Service
Schmale Trichterwolke nahe Cleveland, Ohio (aufgenommen im September 2015)
Bild: Jessa Moser