Die Geschichte hat uns nüchtern denkende Meteorologen eines gelehrt: Die Erfolgsaussichten einer Vorhersage, ob ein bestimmtes Wetterereignis einen Rekord brechen oder gar deutlich übertreffen wird oder nicht, sind meist gering. Allein schon deshalb verzichten wir prinzipiell auf solche Prognosen.
Doch selbst die erfahrensten Meteorologen staunten über die plötzliche Verstärkung von Hurrikan “Patricia” von Donnerstag (22. Oktober) auf Freitag (23. Oktober). In diesem Zeitraum entwickelte dieser sich von einem kleinen, “durchschnittlichen” Hurrikan vor der mexikanischen Küste zu einem gefährlichen Monstersturm mit Extremwinden von 320 km/h. Allein dieser Wert, der neben der Hurrikan-Skala auch die “Erweiterte Fujita-Skala” mit einem höheren Schwellenwert übertraf, verwandelte selbst die sachlichsten Wissenschaftler in staunende Zuschauer, die diesen historischen Moment keinesfalls verpassen wollten (siehe Grafik rechts). Der Luftdruck von “Patricia” fiel in nur 24 Stunden um 100 Hektopascal. Damit war dieser Hurrikan erst der zweite Wirbelsturm seit Beginn regelmäßiger Aufzeichnungen, dem dieses Kunststück gelang und zudem auch der stärkste, der je in der westlichen Hemisphäre beobachtet wurde. Bisher wiesen erst vier Wirbelstürme weltweit einen tieferen Kerndruck als “Patricia” auf. Die Vorgänger – darunter auch der Rekordhalter Taifun “Tip” – traten jedoch im für Wirbelstürme besonders fruchtbaren Westpazifik auf. Jedoch konnte bis “Patricia” kein Wirbelsturm nachweislich die 320-km/h-Marke erreichen.
Viele der Zutaten, die dafür sorgten, dass “Patricia” meteorologische Geschichte schrieb, sind mittlerweile auch gewöhnlichen Wetterinteressierten bekannt. “”Patricia”” bewegte sich mit einer idealen Zuggeschwindigkeit über Ozeanwasser hinweg, das bis in tiefe Schichten ausgesprochen warm war. Sonst hemmende Faktoren in der Entwicklung von tropischen Wirbelstürmen wie die Windscherung oder auch die Nähe zu Landmassen waren dabei auf ein Minimum reduziert. Die Vorhersagen zeigten eine solch signifikante Verstärkung von “Patricia”, dass das US-National Hurricane Center von einer “rapid intensification” schrieb. Dies bedeutet konkret, dass die mittlere Windgeschwindigkeit innerhalb von 24 Stunden um mindestens 30 Knoten (54 km/h) zunimmt. Auf Infrarot-Satellitenbildern konnte man gut sehen, wie die Temperatur der Wolkenobergrenze rasch zurückging. Außerdem nahm die Gewitteraktivität am Rand des Auges rasch zu. Beides waren verlässliche Anhaltspunkte dafür, dass der Wirbelsturm bedrohlich an Stärke zulegte.
Allerdings sind viele andere Wirbelstürme ganz ähnlichen Umgebungsbedingungen ausgesetzt, ohne dass sie sich im gleichen Ausmaß wie “Patricia” intensivieren. Die Gründe, warum gerade dieses Sturmsystem eine solch phänomenale Stärke erreichen konnte und andere Wirbelstürme mit ähnlichen Bedingungen nicht, sind noch nicht hinreichend bekannt, weshalb auf diesem Gebiet intensiv geforscht wird.
Ein geradezu einzigartiger Umstand, der “Patricia’s” Verstärkung ebenfalls begünstigte, war sicherlich die geringe Größe des Hurrikans. Selbst zum Zeitpunkt der stärksten Intensität beschränkte sich der Bereich mit mittleren Windgeschwindigkeiten von mindestens 93 km/h auf ein Gebiet von nur 80 Kilometern rund um den Kern des Systems. Somit verteilte sich die riesige Menge an Energie, die durch den extrem tiefen Kerndruck zur Verfügung stand, auf eine viel geringere Fläche als beispielsweise bei Taifun “”Tip””. Damals wurden selbst 280 Kilometer entfernt vom Zentrum noch solch hohe Windgeschwindigkeiten gemessen.
Die von Meteorologen oft bemühte Analogie, dieses grundlegende physikalische Prinzip zu erklären, ist die Pirouette der Schlittschuhfahrer. Ziehen diese die Arme zu ihrem Körper heran und verkleinern somit ihre Oberfläche, drehen sie sich schneller. Dieses Phänomen ist auch unter dem Begriff der “Drehimpulserhaltung” bekannt. Ironischerweise ist dieser winterlich anmutende Vergleich eher den Menschen im hohen Norden bekannt und nicht jenen in wärmeren, tropischen Gefilden, wo Extremstürme wie “Patricia” eine regelmäßige Bedrohung darstellen.